Professor Shirong Jia ist böse auf Greenpeace. Der Wissenschaftler arbeitet am Institut für biotechnologische Forschung der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. Durch den Einsatz genmanipulierter Baumwolle konnte der Pestizidverbrauch um 70 bis 80 Prozent vermindert werden, so der Professor. Der sei bislang nötig gewesen, um die Larve des Eulenfalters zu bekämpfen, die sich in den Samenkapseln einnistet. Allein in der Provinz Shandong habe man 1.500 Tonnen Pestizide eingespart. Das senke die Kosten und schone die Umwelt, so Shirong Jia, der die Kritik der UmweltschützerInnen an der Biotechnologie nicht verstehen kann.
Ob es um die Herstellung neuer Impfstoffe in der Medizin geht, um neue Verfahren zur Trinkwassergewinnung und Abwasserbeseitigung oder um Nutzhölzer mit genau definierter Beschaffenheit, ob um Hochertragsmais oder um leicht lagerfähige „Anti-Matsch-Tomaten“: Die Biotechnologie ist neben der Informationstechnologie zu einem der Stützpfeiler der so genannten Wissensgesellschaft geworden. Ihr Umsatz lag im letzten Jahr bei 42 Mrd. US-Dollar – Tendenz rasant steigend.
Freilich: Biotechnologie ist ein weites Feld mit vielen Facetten und Aspekten. Die systematische Suche nach Nutz- und Heilpflanzen, heute Bioscreening genannt, wurde in Mesopotamien bereits 2.600 Jahre v. Chr. dokumentiert, berichtete Klaus Amman, Direktor des Berner Botanischen Gartens, den TeilnehmerInnen eines Biotechnologie-Forums der UNIDO, das Anfang März in Concepción, Chile, stattfand. Diese UN-Organisation für Industrielle Entwicklung mit Sitz in Wien bemüht sich darum, einen internationalen Regulierungsrahmen für die Biotechnologie zu finden, der unter anderem gewährleisten soll, dass auch die so genannten Entwicklungsländer davon profitieren. Schließlich liegen 97 Prozent aller Saatgutpatente in den Safes von Unternehmen aus dem industrialisierten Norden, aber 90 Prozent der Genressourcen kommen aus den Ländern des Südens.
Kreuzungen von Tieren und Pflanzen, Wein, Joghurt, Käse, Brot und Bier werden als uralte Vorläufer zitiert. Doch so harmlos sind Gegenwart und Zukunft der Biotechnologie längst nicht mehr. Zu Recht wird nach den „Nebenwirkungen“ gefragt. Wer profitiert davon? Und unter welchen Bedingungen?
BefürworterInnen beschwören die Chance für eine neue „grüne Revolution“ mit größerer landwirtschaftlicher Produktivität und höheren Realeinkommen („Green Biotech“). Daneben gibt es eine Fülle von Anwendungen zur Bodenverbesserung, in der Abfallbeseitigung (biologische Zersetzung von Plastik) und beim Recycling; oft könnten chemische Prozesse durch kostengünstigere und umweltfreundlichere biotechnologische Prozesse ersetzt werden.
In der Medizin („Red Biotech“) ist die Akzeptanz am höchsten: 60 Prozent aller Krebsmedikamente beruhen – wenigstens zum Teil – auf Komponenten aus natürlichen Pflanzen. Die Zahl biotechnologischer Medikamente und Impfstoffe nahm von 23 (im Jahr 1990) auf 130 (im Jahr 2001) zu; rund 370 weitere befinden sich im klinischen Test.
Indes: Die Biotech-ProtagonistInnen aus Industrie und Wissenschaft fühlen sich missverstanden. Europa gilt als Bremser. Der Faktor Öffentlichkeit sei heute das wichtigste Hindernis für die Biotech-Revolution; eine Informations- und Charme-Offensive sei notwendig. Die Biotechnologie würde in der Öffentlichkeit schlecht gemacht und durch Begriffe wie „Frankenstein-Food“ diskreditiert.
Der „Grünen Biotechnologie“ wird am heftigsten misstraut. Weltweit findet bereits auf mehr als 60 Millionen Hektar gentechnisch veränderter landwirtschaftlicher Anbau statt. Das entspricht etwa der Fläche Frankreichs. Mitte der 1990er Jahre waren es noch 2,8 Mio. Hektar. Marktführer sind die USA vor Argentinien, Kanada und China. Die Hälfte des Weltmarktes für Soja wird bereits mit gentechnisch veränderten Pflanzen bedient. Doch die Saatgut-Multis haben Probleme, das Wiederverwendungsverbot durchzusetzen bzw. vertraglich vereinbarte „Nachbaugebühren“ einzutreiben.
So schätzt man, dass in Argentinien mehr als 50 Prozent des Anbaus transgener Pflanzen illegal erfolgt. Monsanto verkauft dort sein Soja-Saatgut im Paket mit dem Herbizid Roundup, gegen das die Pflanzen resistent sind, und verlangt von den Bäuerinnen und Bauern „Nachbaugebühren“. Gleich im ersten Jahr war jedoch ein Schwarzmarkt für genmanipuliertes Soja entstanden – und de facto hat wahrscheinlich das benachbarte Brasilien Argentinien bereits überholt. Monsanto hat daher im Jänner seine Verkäufe in Argentinien unter Protest eingestellt – und die Regierung in Brasilia tut sich schwer, das bestehende Anbauverbot durchzusetzen. Nicht nur, weil sie keinen Bauernaufstand riskieren will. Bereits eine Unterscheidung zwischen Feldern mit genmanipulierten Pflanzen und normaler Soja ist schwer, am einfachsten durch Besprühung mit Roundup, wodurch die legalen Pflanzen eingehen würden, ansonsten nur durch Genanalyse. Einstweilen hat man den Anbau per Erlass für ein Jahr nachträglich erlaubt; ein Gesetz ist in Arbeit. Und so kommt es, dass – Importmoratorium hin, Kennzeichnungspflicht her – auch die EU-Länder Produkte aus genmanipulierter Soja importieren, nämlich aus Brasilien, wo es sie eigentlich gar nicht gibt.
Eine Kontrolle gelingt nicht wirklich. Gleichzeitig sind Sorgen um mögliche wilde Weiterverbreitung („Genetic Pollution“) und gesundheitliche Risiken nicht ausgeräumt. In Argentinien kam es nach der Einführung von GM-Soja nicht nur zu einer gefährlichen Tendenz zu Monokulturen. Nach prächtigen Anfangserfolgen war es auch zu einer Reihe unvorhergesehener Probleme gekommen, die exzessiven Herbizideinsatz notwendig machten – mit verheerenden Folgen für die Umwelt und die benachbarte konventionelle Landwirtschaft.
Während ökologische und gesundheitliche Bedenken im Vordergrund der europäischen Debatte und der Kritik zum Beispiel durch Greenpeace stehen, sehen Globalisierungskritiker wie ATTAC die Gefahr einer „Kapitalisierung und Industrialisierung“ der bäuerlichen Landwirtschaft durch die Verbreitung steriler Nahrungspflanzen, für die Saatgut immer wieder nachgekauft werden muss. Damit würde einer Lebensmittelproduktion Vorschub geleistet, die mitverantwortlich sei für die alarmierende Zunahme von Zivilisationskrankheiten wie Fettsucht, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es bedeute auch, einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft, welche die Erhaltung der Artenvielfalt anstrebt, den Rücken zu kehren. Nicht zuletzt im Hinblick auf das UNO-Ziel der Armutsbekämpfung und der Verminderung der sozialen Gegensätze sei zu fragen: Ist es wirklich wünschenswert, dass ein wachsender Teil der Welternährung auf diese Weise in die Hände einiger weniger multinationaler Unternehmen gelangt?
Die zehn größten Saatgut-Multis setzten im Vorjahr zusammen sieben Mrd. US-Dollar um, mehr als die Hälfte davon entfiel auf die beiden Marktführer Dupont (2 Mrd.) und Monsanto (1,6 Mrd.). Insbesondere bei Mais und Soja, die zu den wichtigsten Nahrungspflanzen gehören, ist ihre Dominanz erschreckend groß. Im April 2002 gaben Dupont und Monsanto den gegenseitigen Austausch ihrer landwirtschaftstechnologischen Patente bekannt. Die Bildung solcher Technologie-Kartelle unterhalb der Fusionsaufsicht dürfte Schule machen. Kooperation spielt zwischen den Marktführern eine ebenso wichtige Rolle wie Konkurrenz.
Die so genannte „Life Science Industry“ gehört (noch) nicht zu den ganz großen Global Players. Angeführt wird dieser Sektor vom Pharmakonzern Pfizer mit 45,2 Mrd. Dollar Umsatz. Doch er wächst schnell, nicht zuletzt dank großzügiger öffentlicher Förderung. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen, wie Saatgut, Agrochemikalien, Pharmazeutika für Mensch und Tier sowie Gentechnik verschwimmen zusehends, und der Monopolisierungsprozess schreitet fort. Jüngstes Beispiel ist die Fusion zwischen Sanofi-Synthélabo und Aventis Ende April, wodurch der drittgrößte Pharmakonzern mit einem Umsatz von 24,8 Mrd. Dollar entstand. Auf dem Feld der Biotechnologie stehen einige wenige Elefanten und ein schrumpfender Haufen von Ameisen. Während die zehn größten Biotech-Multis zusammen 54 Prozent der Umsätze verbuchten, schrieb der Sektor insgesamt 15 Mrd. Dollar Verluste: 24 Firmen verschwanden von der Bildfläche, fünf weitere fusionierten im Jahr 2002. Dupont, Monsanto, Bayer und Dow Chemicals dürften im Jahr 2001 zusammen rund drei Mrd. Dollar mit genverändertem Saatgut verdient haben. Monsantos Hauptgeschäft sind aber noch immer Agrochemikalien.
Die Zukunftsaussichten sind günstig, woran auch der militärische Bereich Anteil hat. So sah das US-Budget für 2003 5,9 Mrd. Dollar Ausgaben für den Kampf gegen „biologischen Terrorismus“ vor.
Die bisher vorhandenen Kontrollmechanismen sind unzureichend, ein verbindlicher, umfassender Handlungsrahmen für die Biotechnologie ist überfällig. Das „Biosafety-Protokoll“ von Cartagena bestätigt zwar das Recht der Unterzeichnerstaaten, ihre eigenen, nationalen Bestimmungen zu erlassen, und erlaubt ihnen auch zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie den Import genmanipulierter Produkte zulassen. Doch hat die Entwicklung nationale Kontrollmöglichkeiten in vielen Bereichen längst schon hinter sich gelassen. Zudem besteht ein Widerspruch mit dem WTO-Freihandelsabkommen.
Daneben soll eine „UN-Biodiversitätskonvention“ die Erhaltung der Artenvielfalt sicherstellen. Die UN-Generalversammlung 2003 stellte jedoch fest, dass deren Umsetzung sehr langsam vor sich gehe.
Die Notwendigkeit einer Einbeziehung von NGOs in den Kontrollprozess wird nicht gesehen. Manche KritikerInnen sehen daher in diesen Bemühungen der UNO eher ein Trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe eine umstrittene Technologie hoffähig gemacht werden soll. Wie auch immer: Die Entwicklung der Biotechnologie eilt allen politischen Kontrollversuchen weit voraus.